Stephanie Hirschvogel

Zwei unter einem Dach. Wie zufällig dient ein Baufeld zwei Nutzern mit konträren Interessen. Die typologische Referenz dafür ist eine anonyme Behälterarchitektur wie die eines Wasserturmes oder eines Silos. Die zwei innenliegenden Fassaden der Volumina von Archiv und Büro liegen sich gegenüber. Über einen gemeinsamen Luftraum stehen die unterschiedlichen Nutzer in ständiger Sichtbeziehung zueinander. Ein Manifest von Übereinstimmung und Kontrast.

Durch den Neubau für die Ambulanz und das Stadtarchiv Biel soll der ursprüngliche industrielle Charakter des Baufeldes wieder gestärkt werden, auf dem sich ehemals das Gaswerk Areal der Stadt Biel befand. Die letzten städtebaulichen Entwicklungen der benachbarten Bauprojekte (Wohnungskomplexe) haben jedoch die industriell architektonische Sprache des Ortes zusehends geschwächt. Die nördlich des Baufeldes angrenzende neue Sporthalle Esplanade (2009) hat den industriellen Charakter mit ihren Sheddächern und ihrem Metallkleid bereits aufgegriffen.

Zwei unterschiedliche Nutzungen (Ambulanz und Stadtarchiv) in einem Haus zu vereinen bietet die Möglichkeit, ein übergeordnetes Thema zu etablieren und durch einen städtebaulichen Kontext auf dem Bauplatz zu integrieren. Der städtebauliche Körper entspricht in seiner Proportion den vorhandenen Baukörpern und einer Hallenidee. Die Kanten des Areals werden geschlossen, das Areal wird somit gestärkt. Das Volumen erzeugt eine Halle, die bewusst den Werkhof als Thema verneint. In einer Halle werden die beiden typologischen Themen sichtbar getrennt und gleichzeitig durch eine Stegfigur vereint. Die Halle ist daher von außen als geschlossenes Behälter erfahrbar.

Die Fassade zeigt lediglich die Ausfahrt der Ambulanzfahrzeuge sowie den seitlich abgedrehten Hauptzugang des Stadtarchivs, welcher ebenfalls die dienenden Räume der Ambulanz (Foyer, Garderoben) erschließt. Das freiliegende Stahltragwerk an den beiden Giebelfassaden stärkt das industrielle Thema. Die Materialität des Gebäudes ist ebenfalls dieser Idee untergeordnet. Daher wurden geschlämmte Backsteine und ein rigides Büroraster verwendet. Das partielle Sheddach ist als Thema der umliegenden Architektur entlehnt; es ermöglicht ein sekundäres Licht für die Werkstatt und für die Lagerräume. Im Inneren des Behälters stehen sich zwei Körper gegenüber: das geschlossene Archiv- und das Bürovolumen. Beide Körper werden in der Einstellhalle für die Ambulanz-Fahrzeuge über eine Stegfigur verbunden und zugleich getrennt. Dieser Verbindungsraum hebt die Banalität der Einstellhalle auf und macht ihn zum zentralen Raum des Gebäudes. Der Zugang von der Gartenstraße in die Stadtbibliothek ist durch eine großzügige Treppe zum Aufenthaltsbereich und zum Lesesaal gekennzeichnet. Dies ermöglicht es dem Besucher, auf dem Weg dorthin alle Funktionen und Stationen des Hauses einzusehen. Die Ambulanz hat ein eigenes Foyer mit einer internen Erschließung, welche dem internen Ablauf gerecht wird. Während im Erdgeschoss der Ablauf für die dort Arbeitenden der Ambulanz sichergestellt ist, ist das erste Obergeschoss halböffentlich. Im Fall einer Tagung kann es auch durch die große Treppenfigur erschlossen werden.

Das Bürogeschoss verbindet bewusst beide Verwaltungstrakte, den der Ambulanz und den des Stadtarchivs zu einem Geschoss, und erzeugt einen maximal flexiblen Bürogrundriss. Der Lesesaal ist ganz oben angeordnet, um eine maximale natürliche Ausleuchtung der Räume zu gewährleisten. Die Aussicht aus dem Lesesaal ist weit über das Areal bis zum Jurasüdausläufer möglich und löst somit den Lesesaal aus dem funktionalen Konzept heraus. Vom Empfang des zweiten Obergeschosses aus gibt es einen Steg, der für die Besucher des Stadtarchivs angelegt wurde, um den eigens reservierten Raum für das Stadtmodell zu erreichen. In diesem Moment partizipieren nicht mehr nur die hier Arbeitenden an dem Luftraum, sondern auch die Besucher. Der architektonische Rundgang durch die verschiedenen Funktionen der «Promenade Architecturale» vervollständigt sich hier für den Besucher. Das Bauwerk zeichnet sich durch eine klare Formensprache und eine schnörkellose Direktheit im konstruktiven Detail aus. Seine pragmatische städtebauliche Haltung und eine entsprechende formelle Ausprägung werden in Anlehnung an den Industriebau in diesem Kontext verständlich.

Status: Projektwettbewerb 2017, offen, 1. Runde
Kollaboration: Florian Kaiser Architekt
Fachplaner: Schnetzer Puskas Engineers, Kalt+Halbeisen HVAC, AFC Air Flow Consulting
Visualisierung: Daniel Ziolek
BGF: 5.750 qm
HOAI: LPH 1
Bauherr: Stadtarchiv Biel und Ambulanz ARB
Titel: Stadtarchiv und Ambulanz, Biel